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Matthias Kirschnereit (Klavier) und das Nomos-Quartett mit Helmut Burkhardts neuem Quintett
Bad Kissingen (ta). Uraufführungen sind das Salz in der Suppe des Konzertbetriebes, insbesondere des Festivalbetriebes. Sie können Begeisterungsstürme auslösen oder Skandale (zumindest früher). Sie werden diskutiert und analysiert. Sie bringen den anwesenden Komponisten mit seinem Publikum zusammen oder auseinander, und die Veranstalter schmücken sich gerne - zu Recht - mit ihrer Geburtshelfertätigkeit.
Das gilt sicher auch für den„ Kissinger Sommer", obwohl es nicht immer so ganz nachzuvollziehen ist. Denn das neue Klavierquintett von Helmut Burkhardt wurde unter denkbar ungünstigen Umständen aus der Taufe gehoben. Das Nomos-Quartett und der Pianist Matthias Kirschnereit hatten gerade eine gute Stunde Zeit, um im Weißen Saal nicht nur die Uraufführung zu spielen, sondern dazu ein Rahmenprogramm, mit dem sie sich wenigstens einigermaßen profilieren konnten.
Denn das Konzert der Tschechischen Philharmonie hing wie ein Damoklesschweret über der Veranstaltung. Keine Pause, kein langer Beifall, den die jungen Künstler durchaus verdient hätten und den sie sicher gerne mit einer Zugabe beantwortet hätten. Wer beide Konzerte besuchen wollte, mußte sich sputen, um im Großen Saal rechtzeitig seinen Platz zu erreichen. Da blieb keine Zeit zum inneren Verarbeiten oder Nachhören, für Diskussionen oder zum Umschalten von einem Konzert zum anderen.
Aus der Sicht der Streicher
Und das war außerordentlich schade. Denn das Klavierquintett von Helmut Burkhardt ist durchaus ein Werk. über das man diskutieren kann, über das zu diskutieren sich lohnt. Da fällt zunächst auf, daß Burkhardt sehr genau weiß, was Streicher können, was sie gerne machen, wo der technische Aufwand den künstlerischen Nutzen überschreitet. Streicherfreundlich könnte man das Werk nennen, was freilich keinesfalls mit einfach zu verwechseln ist.
Denn das Quintett, das aus vier ineinander übergehenden Teilen besteht, ist gespickt mit Schwierigkeiten aller Art. Daß die Streicher über weite Strecken gegen Rhythmen aller Art anzuspielen haben, ist nur eine. Daß der Pianist im Stehen mit der rechten Hand rhythmisch andere Strukturen gestaltet als mit der linken, mit der er die Saiten im Flügel anzupft, eine weitere. Ein wesentlicher Reiz der Komposition sind die daraus entstehenden Reibungen.
Der andere Reiz liegt ganz einfach in Burkhardts Umgang mit dem Klang, mit den bizarren Klangfarben und -flächen, die die Streicher entwickeln und die das Klavier aufbricht. Über weite Strecken wird so ein spannender Konfrontationskurs gefahren, nur selten werden dem Zuhörer Ruhepunkte angeboten. Es ist ein intellektuelles Werk der Innerlichkeit, das seine kontrollierten Ausbrüche sucht, das geschickt mit Stimmungen spielt.
Aber das Quintett macht auch deutlich, daß die neue Musik allmählich an den Punkt kommt, an dem sie vor rund 100 Jahren aufgebrochen ist, weil ihre Vorgängerin an einer Grenze angekommen war: Es ist alles schon einmal dagewesen. Natürlich ist Helmut Burkhardts Klavierquintett eine originäre Schöpfung mit einem ganz eigenen Charakter; aber die Grundzutaten zu diesem Werk sind bekannt. Der Überraschungseffekt blieb für den, der die Entwicklungen der neuen Musik verfolgt, eigentlich aus; nicht aber der der künstlerischen und handwerklichen Soliditäit.
Intensive Arbeit
Daran hatte natürlich auch die Interpretation einen guten Anteil, Das Nomos-Quartett mit Martin Dehning (1. Violine), Sonja Maria Marks (2. Violine), Friederike Koch (Viola) und Sabine Pfeiffer (Violoncello) sowie Matthias Kirschnereit spielten das Werk mit großem Engagement und technischer Akribie. Aus ihrem Verständnis untereinander und aus der Spielanlage sprach eine intensive Beschäftigung mit der Materie, mit den Intentionen des Komponisten. Es liegt in der Natur der Sache, daß bei Uraufführungen Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Aber die klare, präzise Tonsprache, derer sich die fünf Musiker/ innen bedienten, dürfte ganz im Sinne ihres Urhebers gewesen sein.
Die übrigen Werke des frühen Abends machten deutlich, daß auch das Nomos-Quartett Verfechter einer neuen, expressiven Sachlichkeit ist, die den verklärenden, verwischenden Schleier von der Musik zieht, die nicht auf versöhnliche Homogenität zielt. Das kam nicht nur Franz Schuberts C -Moll-Quartettsatz zugute, sondern insbesondere dem F-Moll-Streichquartett op. 80 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Mit der ganz bewußten Stimmengestaltung im Spannungsfeld zwischen der 1. Violine und dem außerordentlich präsenten Violoncello beförderten die 2. Violine und die Viola die Konfrontationen, die deutlich machten, daß Mendelssohn mehr war als nur ein Melodiensucher, daß die Glückhaftigkeit seiner Musik nicht aus den äußeren Verhältnissen, sondern aus den erfolgreich bestandenen inneren Auseinandersetzungen resultiert.
Außerordentlich modern und gleichzeitig dem Komponisten gerecht wurde das Scherzo Es-Moll von Johannes Brahms. Es ist ein Frühwerk des Komponisten - das erste, das Brahms zum Druck freigab - und genauso spielte es Matthias Kirschnereit: nicht gesetzt, in sich ruhend, sondern impulsiv, mit' einer individuell bewußten Agogik, die so etwas wie Aufbruchstimmung verbreitete. Schade, daß alles nur so kurz war.
es zwei Auswege: den Griff ins bewährte Repertoire, zu den „Selbstläufern", und das Vertrauen in die Sicherheit und Anpassungsfähigkeit des Orchesters.
Das ging an dem Brahms-Konzert natürlich nicht spurlos vorüber. Angesichts der Tatsache, daß Vaclav Neumann zwar immer noch der große Spiritus rector ist, aber sich schlagtechnisch stark zurücknimmt, war das Orchester vor allem damit beschäftigt, am Ball zu bleiben, die Einsätze zu suchen, sich untereinander abzustimmen. Die verschwindend geringe Zahl an kleinen Unsicherheiten spricht für die Klasse des Orchesters.
Feine Einzelleistungen
Die Feinarbeit mußte da allerdings zu kurz kommen, die Herausarbeitung der Stimmen, die Balance der Lautstärke, vor allem aber das Konzertieren mit der Solistin.
loderte. Da kam er bestens zur Geltung, dieser homogene, warme und doch leicht spröde Klang der Streicher, da zogen die allseits gerühmten böhmischen Bläser vom Leder, daß es eine Freude war (wobei der Soloflötist offenbar einen besonderen Glanztag erwischt hatte).
Da konnte man bestens hören, warum die Holzbläser aus Böhmen ihrer Musik so gut gerecht werden. Die Instrumente, insbesondere die viel verwendeten Klarinetten, sind erheblich direkter, fast härter als die deutschen oder gar französischen. Der Konturenschärfe in diesem holzschnittartigen, mitreißenden Melodienreigen kam das natürlich zugute. Man merkte es nicht zuletzt am aufbrandenden langen Beifall. Daß Vaclav Neumann im tropischen Klima des Großen Saales nicht noch eine Zugabe dirigieren wollte, konnte man ihm nachsehen.